Irgendwo in Nepal

 Hoffnung im Chaos nach der Abschaffung der Monarchie 2009eine Eliteschule öffnet sich für die armen Kinder der Region

Bright Future – in dem Namen dieser Schule fokussiert sich Hoffnung gegen Fatalismus. Nepal, Zielort früher Träume ist nun erreicht. Erinnerungen kehren bei mir wie Einsprengsel zurück beim Landeanflug auf Kathmandu: James Hiltons, „Lost Horizon“ oder Lobsang Rampas „ Das dritte Auge“, Shangri – La, das unbekannte Refugium, Mustang ,das geheimnisumwobenes Königreich Lo, das sich lange jedem Tourismus widersetzte.

Dazu Tiziano Terzanis erst idealisierende und dann, an der Realität überprüft, skeptischer werdende Berichte im „Spiegel“ zu Nepal.

All das ist in meinem Kopf bei der Ankunft im Kathmandu International Airport. Hier beginnt nun die Bildungsreise der Schulleitungsvereinigung NRW, angeregt durch unseren Reiseleiter Narayan und den Freundeskreis Nepal aus Münster.

Die Eingangshalle des Hauptstadtflughafens entspricht dem in einer abgelegenen Region ebenso wie die Abwicklung der Einreiseformalitäten ohne Computer von gelangweiltem Personal. Nach nicht nachvollziehbaren Kriterien drückt sich der ungeordnete Pulk durch die schmalen Durchgänge. Nur das Einkassieren der Visagebühr geht zügig vonstatten. Das Begrüßungskomitee der Schule allerdings übertrifft alle Erwartungen an ein farbenfrohes und heiteres Nepal. Geschmückte Mädchen in der roten Landestracht, die Jungen in Anzug und Schlips der Schulkleidung empfangen uns mit strahlenden Gesichtern. Ein Banner wird ausgerollt, und wir werden mit Blumengirlanden und gelben Tüchern umhängt und herzlich willkommen geheißen. Ein Hauch von malerischem Paradies am Fuße des Himalayas.

Es ist heiß, und die Luft ist stickig. Der Schulbus wird uns nach Naikap bringen, ein Stadtviertel im Westen der Außenbezirke Kathmandus. Die Stimmung im Bus zusammen mit den Kindern ist fröhlich, und sie sind neugierig auf uns – wer weiß, was ihre Lehrer ihnen erzählt haben -und wir auf sie. Besonders die Fotoapparate mit der Möglichkeit sich sofort zu sehen haben es den Kindern angetan. Beim Blick aus dem Fenster aber tritt dies zurück, und es verflüchtigen sich die Illusionen der mitgebrachten Vorstellungen.

Kathmandu liegt unter einer Smogglocke in einem Kessel, aus dem Smog nicht entweichen kann, Smog von fossilen Brennstoffen, stinkenden PKW, LKWund unzähligen Mopeds. Vor den Wahlen hatten die „Maoisten“ nicht ohne Erfolg auf das Ergebnis der Wahl allen jungen Männern Mopeds geschenkt. Man sieht sie überall. Wie man hier leben kann, ohne an den Atemorganen zu erkranken, bleibt ein Rätsel – ein Cocktail aus Vitamin D und Gelbwurz soll uns stabil halten. Die ersten Bilder, die an uns vorbeiziehen, sind nur schwer zu ertragen. Dreck und Armut, chaotischer Verkehr und eine staubbelastete Hässlichkeit wohin man blickt. Auf den an Schlaglöchern reichen Straßen werden alle ständig durchgerüttelt und greifen nach Stangen und Polstern. Nur in der Nähe des Regierungsviertels ändert sich das – dafür schaut man auf Wachtürme und Soldaten mit Maschinengewehren auf Lafetten mitten in der Stadt. Ein sicheres Zeichen von mit Angst gepaarter Gewalt, bei den nach der Abschaffung des Königtums nun hier herrschenden sogenannten „Maoisten“.

Der Schulbus hält in Naikap, einem dorfähnlichen Stadtteil am Rande Kathmandus, ohne Straßen. Es sind Sand- und Steinwege in einer braun verbrannten und ausgedörrten Landschaft. Seit Monaten hat es hier nicht geregnet, und alle warten sehnsüchtig auf den Monsun. Wir klettern den Weg hinauf zum Schamanenzentrum, wo wir die nächsten Tage wohnen werden. Auch hier wieder eine so herzliche Begrüßung besonders durch Mohan Rai, den obersten Schamanen Nepals, die uns alles um uns herum vergessen lässt. Mohan Rai ist der Begründer und Direktor des „Shamanistic and Research Center“ und unterstützt das Schul-und Patenprojekt in Naikap

Mohan Raj

Das Haus ist einfach. Wir wohnen in schlicht ausgestatteten Zweibettkammern und richten uns ein. Hier muss man möglichst viel bei Tageslicht erledigen. Die „maoistische“ Regierung lässt nur vier Stunden Strom zu, und das jeweils in den einzelnen Stadtvierteln nacheinander. Man weiß nie genau wann es soweit ist. Mal hat man Strom von 1 – 4 Uhr morgens, wenn alles schläft, mal tagsüber. Nächtliche Beleuchtung bleibt eine Überraschungsangelegenheit ohne Generator , dafür mit Kerzen und Petroleumlampen. Ein uns ungewohnter Anblick, diese Kerzen auf den Treppenstufen, wenn wir zum Dach hinaufsteigen, um den leichten Wind gegen die Hitze zu genießen, fast schon romantisch, wenn es nicht so elend wäre und die Stupidität einer Regierung bezeugen würde, die auf diese Weise keine Arbeitsplätze schaffen wird . Hier scheint man noch nicht einmal die Diskrepanz zwischen verantwortungsvollem Regieren und der gleichzeitigen Fortführung von Sabotage und Mangelwirtschaft zu verstehen noch gar den Mangel auflösen zu wollen, und es bleibt ein weiterer Niedergang des Landes zu befürchten.

In einem ersten Treffen werden wir über den Stand der Projekte des Freundeskreises Nepal informiert, über das Patenkindprogramm mit Schulstipendien und den Schulneubau. Eine beeindruckende Arbeit ist hier in den letzten Jahren geleistet worden.

Unsere Ankunft hat sich herumgesprochen, und überall schallt uns ein herzliches Namaste entgegen, Hände werden zusammengelegt und das Gesicht uns zugewandt. Dieses Namaste wird uns die nächsten Tage begleiten, und es ist keine Floskel. Aufgeschlossenheit und Freude drücken sich hierin aus. So viel Strahlen, Unbeschwertheit und Freude bei den Kindern macht auch uns glücklich. Nur in den Gesichtern vieler Erwachsener zeigt sich die Not – auch wenn sie es eigentlich nicht zeigen wollen. Wir fahren in die Bright Future School, wo wir mit hundertfachem Namastei begleitet durch ein Spalier von Eltern, Kindern und Lehrern zum Versammglungsplatz der Schule geführt werden. Hier sitzen wir unter einem großen Sonnensegel, und verfolgen auf einer kleinen Bühne neben der Begrüßungsansprache des Schulleiters Daya Ram Thapa eine gekonnte Abfolge von Musik und Tanz, die uns stark beeindruckt. Hierin zeigt sich auch die Besonderheit dieser Schule, die bei allen Wettbewerben in Asien zu den Siegern gehört.

Viel Beifall, und dann folgen weitere Tanzdarbietungen. Wir werden auf die Bühne geholt, und alles endet im gemeinsamen Tanz. Erst jetzt merken wir, dass diese Feier fast 4 Stunden gedauert hat.

 In einem weiteren feierlichen Moment wird eine Schulpartnerschaft mit der Dieter-Forte-Gesamtschule in Düsseldorf, mit dem ausdrücklichen Ziel eines Lehrer- und Schüleraustausches, durch Unterschriften und Urkunden besiegelt. 

Unterschriften für die Schulpartnerschaft

Am nächsten Tag ist Sprechstunde. Mütter kommen mit ihren Kindern, um für diese eine Patenschaft für den Schulbesuch der Bright Future School zu erhalten. Interviews werden geführt, Fotos gemacht, und am Ende gibt es 12 neue Patenkinder, die ab der nächste Woche in diese Schule mit Ganztagsbetrieb und Schulspeisung gehen können. Sie dürfen nun mit anderen Kindern und Jugendlichen in diese Schule gehen, deren Eltern das Schulgeld selbst bezahlen können und für die Bildung und satt werden selbstverständlich ist. Verbunden damit laufen Bemühungen, Wohnungen für die Familie derPatenkinder zu finden. Sie kommen oft aus den Wellblechhütten neben ihrem Arbeitsplatz in der Ziegelfabrik. Nur so kann die Voraussetzung für eine gesunde und zukunftsorientierte Entwicklung möglich werden. Die Kinder sind die Zukunft des Landes, denn ohne Bildung gibt es keine Zukunft. Gekoppelt ist der Schulbesuch der Mädchen und Jungen mit der Teilnahme der Mütter an der Abendschule. Hier lernen sie Lesen und Schreiben, erschließen sich den Zugang zu Informationen. Es ist ein Stück Hilfe zu mehr Würde und Emanzipation der Frauen und wird auch so empfunden. 300 Mütter nehmen an dieser Abendschule teil. Wir gehen in die Familien der Patenkinder und prüfen, ob alles den Absprachen entspricht und das Geld, das über das Schulgeld hinaus für besondere Zwecke bezahlt wird wie Medikamente bei schweren Erkrankungen, auch so genutzt wird wie geplant.

Zurück von den Hausbesuchen, werden die Erfahrungen ausgetauscht, Berichte verfasst und die Aufgaben für den nächsten Tag verteilt. Die Ärztinnen berichten über ihre Krankenbesuche und ihre Sprechstunden, durchgeführt unter freiem Himmel und in Höfen.

Am nächsten Morgen ist Baubesprechung. Die Schule muss neu errichtet werden. Eine von den „Maoisten“ ohne Rücksicht auf die Schule verfügte neue Schnellstraße macht den bisherigen Schulweg lebensgefährlich und nimmt der Schule den Raum. Die geplante neue Schule rückt näher ans Viertel heran, das Land ist langfristig gepachtet und besonders wichtig in dieser Gegend: sie soll erdbebensicher gebaut werden. Es gibt genug Fläche auch für angrenzende Sportanlagen. Alles sieht gut aus. Jetzt warten alle auf den Monsunbeginn, denn ohne Wasser – wie jetzt in der Dürre – kann nicht gebaut werden. Und noch eine Hürde ist da. Die „Maoisten“ wollen von allem 25% Steuern kassieren. Die Linie ist klar: keine Spenden mit Abzug , so wie auch kein Cent der Spenden in Verwaltungskosten geht.

Umzüge von zwei Familien stehen auf dem Programm. Der Besuch in den Familien der neuen Patenkinder hat teilweise erschreckende Wohnverhältnisse offenbart. Zimmer oder Ladenverschläge mit Rollgitter für 4 Persone ohne Tageslicht, Strom, Wasser und Toiletten – kaum zu glauben wie man dort leben kann, kaum zu glauben wie die Familien es schaffen ihre Kinder zu ernähren und so sauber und adrett in die Welt zu schicken. Mit Hilfe des Schamanen gelingt es uns Zimmer anzumieten, die ein menschenwürdiges Wohnen erlauben Dazu gibt es für den Start einen Grundeinkauf nach einer Liste für Grundnahrungsmittel für die nächsten Wochen. Eine Diskussion über den sogenannten „Tropfen auf den heißen Stein“ ist nicht zu verstehen. Auch nur eine Familie ins Leben zurückzuführen, einem Kind das Lernen zu ermöglichen, ist jede Anstrengung wert.

Ein letztes Bild bei unserem Abschied prägt sich ein. Es war uns nur am Rande aufgefallen, dass wir keine Ball spielenden Kinder gesehen haben. Ein Fußball und ein Netz mit anderen Bällen wird den Kindern am Morgen geschenkt, und als wir in den Minibus steigen, der uns zum Flughafen bringt, sehen wir eine Schar Jungen, die sich ein Feld mit Toren geschaffen haben, die so begeistert Fußball spielen, dass sie unsere Abfahrt nicht bemerken.

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