Safari in Tansania, Februar 2016
Unsere Begegnung mit der Serengeti („die Unendlichkeit“ wie uns Fahrer Steven den Namen übersetzt) beginnt mit einem Knall: Kurz nach der Einfahrt in den Nationalpark stoßen wir auf eines der faszinierendsten Ereignisse, denen man hier begegnen kann: die „Great Migration“, die große Gnu-Wanderung, die jedes Jahr im Februar/März beginnt. Mehr als 1,7 Millionen Gnus, 250.000 Zebras und noch mal so viele verschiedene Gazellen-Arten sind gemeinsam unterwegs.
Unterwegs sein heißt für sie: den ganzen Tag Rennen, Rennen, Rennen, und am frühen Abend Ausschwärmen in die ganze Ebene zum Fressen, Fressen, Fressen für die Strecke des kommenden Tages, und in dieser Zeit muss alles passieren, was Erholung und neue Kraft bringt auf dem Weg aus dem bereits von der Sonne versengten in die noch frischen Grasflächen und nördlichen Wasserstellen, immer auf der Hut vor den bereits auf sie wartenden Raubtiere, die ihrerseits ums tägliche Überleben kämpfen.
Wir wollen dieses Schauspiel noch ewig genießen, aber wir müssen weiter, denn es beginnt zu dämmern und die Lodge wartet. Dort tauschen wir uns mit den anderen Gruppen aus und genießen dieses unerwartete Erlebnis bei kühlem Serengeti-Bier, nicht ahnend, was die nächsten Tage noch bringen würden.
Während der nächsten Tage fährt uns Steven auf roten, holperigen Sandpisten mit Tempo 30 durch die einzigartige Landschaft. Es gibt nur wenige Plätze auf der Welt, wo die Savanne solch einer Fülle an unterschiedlichsten Tieren als Lebensraum dient. Giraffen, Elefantenherden, kleine und große Wildtiere, Löwenfamilien direkt neben uns, Leoparden und unzählige bunte Vögel in allen Größen. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Und dann stoppt unser Fahrer plötzlich, und während wir in alle Richtungen gucken, auf der Suche nach einem der Big Five, zeigt er uns mitten auf der Piste einen kleinen Pillendreher, der eine für ihn riesige Kugel rückwärts über die Piste rollt, in die später ein Skarabäus-Weibchen ihre Eier legen wird.
Welch ein Kontrast zu unseren Erwartungen!
Wo wir nur Bäume sehen, zeigt uns Steven Löwen und Leoparden in Bäumen liegend, die wegen vorangegangener Regenfälle ihre Fußsohlen trocknen, er sagte voraus, dass sich ein Vogelstrauß gleich im heißen Sand „entlausen“ würde und so geht es weiter… Und das zeigt uns, was das wichtigste auf einer Safari ist – ein guter Fahrer und Führer, der die Fauna und Flora seines Landes kennt und in ihrer Gesamtheit lebt und so einen besonderen Blick in die Natur hat. Von ihm erfahren wir dann auch, dass es neben den „Big Five“ auch die “Little Five“ gibt, die nach den fünf großen Brüdern benannt wurden: Leopard Tortoise, Buffalo Weaver, Rhino Beetle, Elephant Shrew und Ant Lion.
Ohne die kleinen Lebewesen gäbe es die großen nicht, so ist der Gang der Natur. Steven zeigte uns an anderer Stelle eine Kolonie Geier bei einem Kadaver. Nacheinander setzen so unterschiedliche Tiere, große und kleine, ihre Werkzeuge ein, um ihre Aufgaben in diesem Prozess des Werdens und Vergehens auszufüllen.
Zwei Tage und viele begeisternde Erlebnisse später machen wir uns auf den Weg, die Serengeti wieder zu verlassen, denn der berühmte Ngorongoro-Krater ist unser nächstes Ziel. Aber es wartete noch eine Überraschung auf uns. Wir treffen ohne Vorankündigung ein 2. Mal auf den Zug der Tiere. Unglaublich! Steven hatte sich mit anderen Guides ausgetauscht und erfahren, wohin die Tiere weiter gezogen sind.
Wir sehen sie wieder! Noch in einiger Entfernung laufen Tausenden von Gnus, einige Zebras dazwischen, als dunkle Masse von schwerfälligen Leibern, denen wir immer näher kommen. Unmittelbar vor uns kreuzt dann der Zug unsere Piste, und wir haben Zeit dieses Schauspiel zu genießen. Die Tiere trotten in einer schier unendlich scheinenden Reihe vor sich hin, um dann unvermittelt für eine Weile loszurennen. Irgendetwas löst bei einem einzelnen Gnu diese Reaktion aus, und der Herdentrieb setzt dann alle in Bewegung.
Für ein Picknick halten wir mittags im Schatten einer großen Schirmakazie und erleben dabei einen lebendig gewordenen Traum. Ringsum in jeder Himmelsrichtung bis zum Horizont sind hunderttausende, ja vielleicht Millionen Tiere zu sehen, die nach Norden streben
Anfang und Ende des Zuges sind nicht mehr zu erkennen, die Reihe der Tiere erstreckt sich von Horizont zu Horizont, wie eine Urgewalt und wir stehen mittendrin. und Steven meint nur „You are very very lucky to be able to see this“.
Der Motor startet, und unser Fahrer bahnt sich vorsichtig einen Weg durch die Masse der wandernden Tiere und tritt die Reise zum Ngorongoro-Krater an, vorbei am Gedenkstein für Michael Grzimek. Aber eigentlich wissen wir, dass nichts auf dieser Reise auch nur annähend eindrucksvoll sein konnte, wie die Migration. Das muss der Höhepunkt gewesen sein, alles andere war nur Bonus. Und so startete unsere Fahrt in den Krater bei Nieselregen und Bodennebel, der sich aber schnell mit den ersten Sonnenstrahlen auflöste. Und plötzlich stehen wir vor einem der letzten 50 verbliebenen Spitzmaulnashörnern in Tansania.
Und als ob dies noch nicht genug Safariglück gewesen wäre, erleben wir noch das für mich emotionalste Ereignis dieser Reise am Ausgang des Kraters. Wieder stoppt der Wagen plötzlich und dann wird uns klar warum. Wir stehen nur wenige Meter von einem Gnu entfernt und Steven sagt uns, dass die Geburt des Kalbs unmittelbar bevorstehe, ja tatsächlich in weniger als 10 Minuten beginnen würde. Niemand von uns hätte dies bemerkt. Während die anderen Tiere weiterlaufen, legt sich die Gnu- Kuh nieder, mehrere männliche Gnus bleiben wie eine Schutzwache neben ihr stehen. Dann sehen auch wir die stärker werdenden Wehen. Mehrmals steht sie wieder auf, wechselt die Position, legt sich wieder nieder und dann beginnt die Geburt.
Ein Moment vollkommener Stille tritt ein, ein kurzer Moment ohne jedes Klicken eines Fotoapparates, völlige Faszination und Ergriffenheit angesichts dieses Wunders des neuen Lebens, so normal und selbstverständlich und dennoch berührend die Verletzlichkeit in der Natur und Geborgenheit in der Herde.
Mich hat dieses Erleben der Geburt so ergriffen, das ich ganz gegen mein übliches Fotoverhalten während des gesamten Geburtsablaufs kein einziges Bild machte und dies erst bemerkte, als alles vorbei war. Wie schön, dass mein Freund Jörg, sonst überwiegend zuständig für die Teleaufnahmen, diese Nahaufnahmen für mich mit übernommen hat.
Das Neugeborene fällt heraus auf den Boden, es strampelt sich aus der Hülle der Fruchtblase wird freigeleckt und angestubst, und das heißt: Aufstehen, auf die eigenen Beine kommen, umfallen, wieder angestubst, aufstehen und mit stakeligen Beinen nochmals umfallen, wieder aufstehen und trinken und dann dreht sich die Mutter um und läuft weiter, und das Junge muss mitlaufen, um zu überleben. Die Geburt muss schnell über die Bühne gehen, das neugeborene Gnu muss sofort versuchen auf die Beine zu kommen, um dann mit der Mutter im Schutz der Herde mitzulaufen, denn diese wird schon umkreist von auf Beute lauernden Hyänen und anderen hungrigen Jägern.
Nichts ist eine leichtere Beute als ein Neugeborenes.
Und während wir die Geburt erlebt haben, erfahren wir am Abend von der zweiten Gruppe von der Jagd auf und dem Tod eines anderen neugeborenen Gnus. Geburt und Tod, Fressen und Gefressen werden, als natürlicher Ablauf des Lebens, findet hier zu jeder Zeit statt.
Dieses unmittelbare Erleben der Größe und des Wunders der Natur und der Erkenntnis, dass alles miteinander zusammenhängt, relativiert den Glauben an die menschlichen Überlegenheit und führt zurück zu der Erkenntnis, dass wir nur ein Teil dieses Kosmos sind, nur ein Teil des Werdens und Vergehens, während die Welt davon unberührt sich weiter dreht. Nur, dass der Mensch die Fähigkeit hat zu denken und sich zu entscheiden zwischen den Möglichkeiten im Einklang mit der Natur zu leben oder sich alles unterzuordnen und damit die Natur, unseren Lebensraum und unsere Zukunft zu zerstören.
(Fotos: B. Mielke, J. Neidig)