Zwischen Gestern und Morgen

„Ich glaube er war gedopt“, so Jens zu Marie über mich an einem unerwartet lebendigen Geburtstagsabend mit Familie und Freunden. Es war mein 80. Geburtstag, und ich soll bis auf Essenspausen ununterbrochen auf der Tanzfläche gewesen sein. Üblicher bei einem 80. Geburtstag: man sitzt zusammen, freut sich, spricht viel miteinander, isst gut, trinkt gut und verbringt einen „altersgemäß“ netten Abend zusammen.  Doch es kam anders. 

Gudrun Binger aus Duisburg, mit der ich vor einiger Zeit mit einer Kleingruppe im Himalaya zum Trekking in Mustang gewesen war, sang als Solistin mit ihrer wunderschönen Stimme nach dem Essen.

Und dann, nach einer kurzen Pause, setzte „Der Letzte infantile Gedanke“ ein – meine Lieblingsband, die mir schon zu meinem 70. Geburtstag versprochen hatten, zu meinem 80. Geburtstag wiederzukommen.

Noch in Düsseldorf und damals ohne Sängerin hatte diese Verbindung mit der jungen Band aus Berlin begonnen.  Meine Töchter Xenia und Jahel schenkten mir damals den Auftritt dieser Band zu meiner Geburtstagsfeier. Sie kamen aus Berlin, und es war einfach die Art und Weise wie sie auftraten, uns begeisterten und animierten, so dass ich morgens gegen 4:30 Uhr mit diesen Jungs an unserer Bar stand und sie zu einem Single Malt einlud. „Kennen wir gar nicht“ stellten sie fest, „haben wir noch nie getrunken“. Sie mochten ihn, und dabei kam mir die Idee, sie zu ermuntern, ihre erste CD aufzunehmen. Und so sollte es werden. Es dauerte eine Weile. Ich brauchte etwas Zeit für das Crowd-Funding, und die Band, diesmal mit Sängerin, für Training und Technik im Studio der Landesmusikakademie Berlin. Einmal durften wir bei den Proben dabei sein, auch für uns neu und interessant. Schließlich war die CD fertig. Welch eine Freude!

Wir sahen uns wieder. Als wir 2016 nach Berlin zogen, rockten sie bei unserer Einzugsfête Wilmersdorf von unserem Dachgarten aus die ganze Nacht hindurch. Es war wunderschön und eine tolle Erfahrung, auch für die Wilmersdorfer, die zwischen Verwunderung, sauren Bemerkungen auf dem Anrufbeantworter oder auf dem Balkon sitzend einfach die Musik miterlebten, und unterschiedlich reagierten. Zu meinem 80. Geburtstag waren sie wieder da und brachten unmittelbar den ganzen Saal in Stimmung bis in die frühen Morgenstunden, durch ihre Musik und die heitere Zwischenmoderation des Bandleaders voller netter und lustiger regionaler, politischer und persönlicher Anmerkungen, gespeist aus den jetzt schon 10 Jahren Freundschaft.Um den Bann des Anfangs zu brechen ging ich mit Marga zum ersten Tanz auf die Tanzfläche, und dann passierte etwas Unerwartetes in dieser sehr gemischten Altersklasse, dass fast alle aufstanden, in diese Stimmung eintraten und fortan die Tanzfläche immer voll war.

Es war eine tolle Fête, die schon so besonders anfing. Die Gäste wurden nicht nur mit Champagner im Hof begrüßt und dann in den Saal geführt, sondern konnten erst einem Event beiwohnen, das von unserem mexikanisch geprägten

Familienstrang seinerzeit eingeführt worden war, die Geburtstags- Piñata.

Ich musste zum Gaudi aller mit verbundenen Augen einen an einer Leine baumelnden Stier (mein Sternzeichen) aus Pappmaschee mit einem Stock treffen, so dass die Glückwunschzettel herausfielen, was unter dem Jubel aller schließlich gelang. Damit war der Grundstein für die Stimmung an diesem unvergessenen Abend gelegt.

 So wie ein kühler Atlantikwind an einem sonnenüberfluteten Strand, so schleicht sich in diese schönen unbeschwerten Erinnerungen doch immer mal wieder auch das Wissen um unsere Endlichkeit in die Gegenwart, gerade jetzt, wo ich dies schreibe, da einer meiner auf der Feier anwesenden Freunde gestorben ist.

COVID und die Isolation waren voran gegangen. 

Kein Sport, keine Reisen, keine Kontakte, keine Feiern – das widersprach so sehr meinem Naturell und der Art, wie ich eigentlich leben will. Doch es gab einen Ausweg.

Durch die Idee, ich könnte doch ein Buch über meine Reisen schreiben anstatt nur trübe herumzusitzen richtete mir mein Freund Jörg einen Blog mit dem Titel „Unterwegs“ ein und zeigte mir, wie man darin schreibt. So gelang es mir einer möglichen Depression zu entkommen, und es brachte mich über die Zeit und das Schreiben wurde zu meiner neuen Faszination. Ich habe schon immer Texte und Reden geschrieben, aber diesmal wurde es ein Schreiben in der Auseinandersetzung mit mir selbst, das Projekt eines Buches als Reflektion über einen großen Teil meines Lebens. Marga und meine Freunde wurden dann zu einem wichtigen Teil dieses Projektes als ständige Lektoren, und sie berieten mich, was Lay-out und Druck anging.

Das Manuskript meines Buches „Orte und Begegnungen“ wird bald fertig sein. Ich warte auf die Auslieferung, wissend, dass diese Art der literarischen Auseinandersetzung mit meinem Leben, meinen Wünschen und Träumen über dieses Buch hinausgehen und ich weiterschreiben werde.

 Es ist anders als Tagebuch zu schreiben oder nachträglich aus Tagebüchern sein Leben zu rekonstruieren. Ich schreibe jetzt wie von einem Berg aus zurückschauend in ein langes weites Tal, mit Abstand, und glaube, dass dies helfen wird, auf das Wesentliche zu fokussieren und so in der Rückschau, ähnlich wie bei der Beschreibung meiner Reisen in diesem späten Zeitpunkt meines Lebens doch etwas mehr Gewissheit über mich selbst zu finden. Es ist anders als das punktuelle zu sich selbst finden während der Reisen. Es ist jetzt ein Rückblick auf das ganze Zurückliegende und dann als nächste Herausforderung der furchtlose Blick nach vorne in eine noch ungewisse Zukunft, wie dies in dem Gemälde von Caspar David Friedrich „Der Wanderer über dem Nebelfeld“ dargestellt ist.

Ein Bild, dem ich schon einmal an einer früheren Schnittstelle in meinem Leben begegnet bin, als kurz vor meiner Pensionierung als Schulleiter dieses Bild aus dem Kollegium neben die Tür zu meinem Büro gehängt worden war. 

Veröffentlicht von

Dr.Mielke Burkhard

Autor: Dr. Burkhard Mielke Berlin ist meine Stadt – Geburtsort und seit Jahren wieder die Stadt, in der ich lebe. Geprägt hat mich am meisten mein Studium der Romanistik und des Sports an der Sporthochschule und Universität zu Köln. Begeistert hat mich jedoch meine Promotion zum Dr. phil. Diese ermöglichte mit dem Thema „Tourismus oder Völkerverständigung? Die internationalen Begegnungen der Schulen“ , eine Verbindung herzustellen zwischen der Faszination des Reisens und der Begegnung von Jugendlichen, Kulturen und Lebensorten. Als junger Lehrer waren es Schüler-Austauschfahrten mit Tunesien, als Schulleiter die Schulpartnerschaften mit Upstate New York, Beijing und Shanghai, als Präsident der Europäischen Schulleitungsvereinigung (ESHA) und Board Member der Internationalen Schulleitungsorganisation (ICP) viele internationale Tagungen zur Bildung der Jugend an unterschiedlichsten Orten der Welt. Immer war es mein Bestreben, andere mitzunehmen in diese Faszination des einen Augenblick lang Fremden, des Austausches und der neuen Erfahrungen, die uns auf immer andere Weise sagen: Ja, dies ist unsere Welt.

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