Deutschland und Vietnam – eine Reise mit Thomas Billhardt
März 2019
Vietnam Halong-Bucht 2019. Es ist eine warme, sommerliche Nacht. Auf dem Wasser spiegeln sich die Lichter anderer Boote, die wie wir an diesem romantischen Ort für die Nacht vor Anker gegangen sind. Schemenhaft sieht man die für die Bucht charakteristischen kegelartig geformten und bewaldeten Kalksteininseln.
Nach einem erlebnisreichen Tag in dieser traumhaft schönen Umgebung sitzen wir an Deck mit einem Glas Wein und sprechen über diese Bucht und wie sie vor Jahren ohne viele Besucher vielleicht noch schöner gewesen sein mag. Und dann fällt der Satz: „Jetzt sitzen wir hier und und sprechen ganz normal miteinander“. Nach einem kurzen Schweigen stoßen wir an und wissen, dass in diesem Satz all das zusammenfließt und auf den Punkt gebracht ist, was uns Beide hierher geführt hat. Der einladende Reise-Flyer, der am Ende einer Tagung im Rosa-Luxemburg-Haus unser Interesse geweckt hatte, die Ankündigung der Mitreise und Kommentierung der Fahrt durch Thomas Billhardt, ehemaliger DDR-Fotograf und Zeitzeuge des Vietnamkriegs; auch wenn wir von diesem in weiten Teilen der Welt bekannten und geschätzten Fotografen noch nie gehört hatten, versprachen wir uns davon eine kundige Reisebegleitung und vielseitige Einblicke in das heutige Leben im damaligen Nord-Vietnam. Und so war es dann auch. Unsere erste Begegnung mit Thomas Billhardt musste aber noch warten, er war schon vorgeflogen und empfing uns in Hanoi.
Berühmt geworden war Billhardt für seine Berichte aus Kuba und seine Präsenz während des Vietnamkrieges. Der gesamte Westen, in dem wir groß geworden sind, kannte unausweichlich das Bild des Fotografen Nick Út (The terror of War), das brennende, nackte, vor Schmerzen schreiende kleine Mädchen auf der Flucht vor weiteren amerikanischen Napalm Bomben. Die bildgewordene Anklage gegen den Krieg in Vietnam. Niemand von uns aber kannte das Foto „Liebe im Krieg“ von Thomas Billhardt, ein Soldatenliebespaar mit geschulterten Gewehren, händchenhaltend auf einen See zugehend. Auf der einen Seite der Schrecken und auf der andern Seite inmitten der täglich Gräuel und des Sterbens die Liebe und die Hoffnung auf eine Zukunft ohne Krieg.
Das Bild „Liebe im Krieg“ – gefunden in einem Laden in Hanoi
Es war also gar kein Zufall, dass die Reisegruppe außer meiner Reisegefährtin und mir ausschließlich aus Mitreisenden aus dem Osten Deutschlands bestand, denen natürlich ein Thomas Billhardt ein Begriff war, ebenso wie auch Verbindungen mit Nord-Vietnam. Uns war es erst so nach und nach klar geworden, dass dies eine für uns nicht übliche Buchung war: bei einem Reisebüro aus der ehemaligen DDR, die exklusive Leserreise des „Neuen Deutschlands“, die Anreise mit Abflug von Berlin Schöneberg mit Aeroflot über Moskau nach Hanoi. Bei jedem Mitreisenden, mit dem wir ins Gespräch kamen, wurde klarer, dass sie alle in der ehemaligen DDR groß geworden waren und bis heute dort lebten, und wir dennoch gemeinsam Reisende waren, die in diesem Augenblick des selbstverständlichen Beieinandersitzens in der Halong -Bucht realisierten, wie wenig selbstverständlich diese Gemeinsamkeit über lange Zeit gewesen war, auch lange nach dem Mauerfall noch. Und diese Feststellung der Normalität geschah am 5. Abend unserer gemeinsamen Reise, und es entwickelte sich eine große Offenheit und Interesse füreinander.
Das zentrale Erlebnis dieser Reise von Nord nach Süd in Vietnam war unser Reisebegleiter. Täglich hörten wir von ihm Geschichten über seinen abenteuerlichen und oft lebensgefärdenden Einsatz als Fotograf in Hanoi. Und er hatte wegen der Vorbereitung einer Ausstellung mit dem Goethe-Institut in Hanoi seine Fotobücher bei sich, die diese schwierige Zeit der Bombardierung Hanois dokumentierten. Besonders nahe gingen die Bilder kleiner Jungen, die unter den Kanaldeckeln Schutz suchten. Die ergreifenden Schilderungen waren auch deshalb so beeindruckend, da sie aus eigenem direkten Erleben völlig ohne irgendeinen Hauch von Ideologie erzählt wurden, als Schilderung des menschlichen Lebens in dieser Zeit in Nordvietnam, von dem wir wenig wussten. Ebenso fesselte auch seine eigene Lebensgeschichte, die ihn zu einem Wanderer zwischen den Welten Ost und West machte. Für die Regierung der DDR war er als Fotograf nach Kuba geschickt worden und, was damals nicht alle für sicher hielten, er verschwand nicht bei einer Zwischenlandung in Kanada, sondern kehrte in die DDR zurück. Fortan hatte er die Möglichkeit zu jeder Zeit auch in den Westen zu kommen. Er galt nun als „zuverlässig“ und seine Berühmtheit – gefördert durch seine Berufung als Kinderfotograf der UNICEF – machte ihn ziemlich unangreifbar. Bis er kurz vor Ende der DDR in Gefahr geriet sein Fotoarchiv zu verlieren, das er aber auf abenteuerliche Weise doch noch rechtzeitig in Sicherheit hatte bringen können.
Ost-West-Kontraste aus alten Zeiten und ihre Fortsetzungsgeschichten traten auf dieser Reise immer wieder auf. Zwei vietnamesische Reiseführer, beide mit Deutschlanderfahrungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, zwei Welten. Der Reiseführer der ersten Woche hatte in der DDR Maschinenbau studiert, während zu Hause der Krieg tobte, nicht ganz ohne schlechtes Gewissen, aber mit einer Treue gegenüber alten wirtschaftlichen Kontakten und Wissenstransfer; der Andere als ehemaliger Flüchtling, illegal in Westdeutschland, in ständiger Angst von der Polizei ohne Papiere aufgestöbert zu werden und nach Hause abgeschoben, was ihm tatsächlich nicht erspart blieb. Gerne würde er seine deutschen Freunde noch einmal besuchen, mit denen er bis heute in Kontakt ist, aber in Deutschland leben würde er nicht mehr wollen. Im heutigen sich öffnenden und entwickelnden Vietnam sieht er sein Zuhause.
Und so zogen wir durch das Land von Nord nach Süd mit einem ununterbrochen fotografierenden Reisebegleiter, der am Abend dann schon mit der Löschung der weniger gelungenen Bilder begann. Wir erfuhren von seiner ersten Ausstellung in Hanoi mit großen Bildtafeln im Freien, und Billhardt berichtete, dass viele dorthin kamen, die auf den Bildern abgelichtet waren und den Krieg überlebt hatten. Wir entdeckten Hanoi anders als bei einer üblichen touristischen Reise, fuhren mit Fahrrädern durch Reisfelder in ein kleines Dorf, um unter Anleitung der Dorfbewohner vietnamesisch zu kochen, besuchten eine Vorstellung im berühmten Lotus Wassertheater, lernten die Kultur der Cham kennen, das Abenteuer einer nächtliche Zugreise in den Süden zur alten Kaiserstadt Hué, weiter nach Danang und zu der für mich wohl schönsten Stadt Hoi An, der Stadt der tausend Laternen.
An einem der letzten Abende wurden die Erzählungen fortgesetzt, ost-westdeutsche Biografien ausgetauscht sowie die Nord-Süd Erfahrungen betreffend Vietnam. Und es sind mehr als zwei Deutschlands, die dabei sichtbar werden.
Aus dieser Reise entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Thomas Billhardt und uns, und gerade schickt er mir seinen neu erschienenen Bildband „Hanoi 1967 -1975“, initiiert und unterstützt vom Goethe-Institut Vietnam und publiziert von Nhã Nam/Vietnam 2020, Krönung seines Lebenswerks.